Frank Brachvogel, Geschäftsführer Open District Hub e.V. (Foto: Anika Nowak)

EuGH-Urteil zu Kundenanlagen: Entscheidung des BGH könnte Klarheit für Betreiber, Kunden und Gesetzgeber bringen

Partizipation ist EU-Linie – Klarstellung zu Hausanlagen ist notwendig

Berlin/Luxemburg, 25.04.2025 – „Der Bundesgerichtshof sollte Klarheit für Betreiber von Kundenanlagen, Kunden und den Gesetzgeber selbst schaffen. Denn die Verunsicherung ist im Markt seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes groß“, betont Frank Brachvogel, Geschäftsführer des ODH Open District Hub e.V.. Ein Urteil des BGH wird im Mai erwartet. Der Verein hat das Mitglied HFK Rechtsanwälte daher um eine aktuelle Einschätzung zum Urteil des EuGH vom 28.11.2024 zu Kundenanlagen gebeten. Die Rechtsexperten kommen zu dem Ergebnis, dass Hausanlagen nach § 13 Abs. 1 Satz 1 NAV zumindest in Gebäuden und dazugehörigen Nebenanlagen nicht vom EuGH-Urteil betroffen sind. Die elektrische Verteileranlage hinter einem Hausanschluss, wenn sie sich in einem Gebäude oder auf weitere, wenige damit verbundene Gebäude erstreckt, könne nicht von der EuGH-Rechtsprechung erfasst sein.

Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der EuGH seine Definition des öffentlichen Verteilernetzes auch auf Hausverteilanlagen beziehen wollte, finden sich im EuGH-Urteil nicht. Eine weite Auslegung der Entscheidung des EuGH wäre nur dann zwingend, wenn der Begriff der Kundenanlage und der Begriff der Hausverteilanlage deckungsgleich wäre, was aber nicht der Fall ist. Dagegen spricht, dass der Kundenanlagenbegriff neben der Hausverteilanlage auch weitere Energieanlagen erfasst, deren Zweck nicht bloß die Verteilung des am Hausanschluss bezogenen Stroms ist.

Zumindest für Hausverteileranlagen wäre im Sinne der Rechtssicherheit durch den BGH mindestens in einem obiter dictum klarzustellen, dass diese keine Verteilernetze laut EU-Richtlinie sind. Dies wäre auch wichtig für das Mieterstrom-Modell nach § 42a Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) sowie für alle auf die „Kundenanlage“ bezugnehmenden Gesetze (z.B. virtueller Summenzähler: Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (GNDEW): §20 (1d) EnWG) und Neuregelung § 20 Abs. 1d S. 3 i.V.m. § 34 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 und § 60 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 MsbG).  Gleichzeitig sollten Mieterstromkonzepte gem. § 42a EnWG nicht nur weiter ermöglicht, sondern auch gefördert werden.

Darüber hinaus wäre laut HFK eine Klarstellung des BGH wünschenswert, dass alle Partizipationsmodelle weiter von der EU gewollt sind. Darauf habe selbst der EuGH in seiner Begründung ausdrücklich hingewiesen. Das deutsche Modell des § 42b EnWG würde also bleiben. Nach diesem könnten kleinere Vermieter und Mieter gemeinsam Erzeugungsanlagen betreiben und sich daraus unter Nutzung der Hausanlagenverteilung versorgen. Dies müsste entsprechend vertraglich, eventuell sogar als Teil der Mietverträge, vereinbart werden. Auch darauf könne der BGH als erste, entscheidende Instanz hinweisen. Das Modell sollte vom Gesetzgeber dann für weitere, eben auch größere Vermieter und Dienstleister geöffnet werden. „Wenn das Urteil so am besten als erstes vom BGH ausgelegt wird, würde es der Richtlinie und den EU-Richtlinien zur Bürgerpartizipation gerecht werden. Gleichzeitig würde damit die notwendige Klarheit für Kundenanlagen geschaffen“, so Brachvogel. 

Aus einer differenzierteren Betrachtung des EuGH-Urteils und dem Blick auf andere EU-Richtlinien folge laut HFK Rechtsanwälte, dass die EU Bürgerpartizipation will. Der gemeinschaftliche Betrieb der Anlagen und der Verbrauch durch die Gemeinschaftsmitglieder daraus ist gewollt. Der EuGH selbst weist dazu auf Bürgerenergiegemeinschaften hin. Der Gesetzgeber sollte das in der Weiterentwicklung des § 42b EnWG und der Integration des geplanten § 42c EnWG konkretisieren.

„Die Vermieter, die Wohnungseigentümer und sonstigen Gemeinschaftsbetreiber sollten umgehend ihre vertraglichen Absprachen entsprechend anpassen. Gut wäre dann eine schnelle Konkretisierung des Gesetzgebers im Sinne des eingeschlagenen Wegs der EU und Deutschlands für die Bürgerpartizipation durch Eigenorganisation“, erläutert Stefan Söchtig von HFK Rechtsanwälte.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte das Urteil in einem speziellen Fall getroffen, in welchem ein Netzanschluss zweier Energieanlagen als Kundenanlagen, mit denen zwei Flächen mit insgesamt zehn Wohnblöcken über zwei Blockheizkraftwerke und zwei galvanisch getrennte elektrische Leitungssysteme mit Elektrizität versorgt werden sollten, betroffen war. Ein solches Konstrukt hatte der EuGH als Teil des öffentlichen Netzes eingestuft. Hintergrund war dafür eine Anfrage des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH). Dieser wird nach allgemeinen Erwartungen im Mai sein Urteil fällen.

„Es ist zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof zumindest seine Meinung in der Begründung als obiter dictum dahingehend formuliert, dass die Hausanlagen nach § 13 Abs. 1 Satz 1 NAV in Gebäuden und dazu gehörigen Nebenanlagen nicht betroffen sind“, erklärt Söchtig.

Der BGH hatte selbst in seiner Vorlageanfrage formuliert: „Insoweit sei unzweifelhaft, dass vom Vermieter betriebene Hausverteileranlagen im Innenbereich eines Gebäudes unabhängig von dessen Größe oder die im Eigentum einer Wohnungseigentümergemeinschaft stehende Energieanlage, durch die 20 Einfamilienhäuser auf einem einheitlichen Grundstück mit Energie versorgt würden, keine Verteilernetze darstellten.“

Im vorgelegten Fall waren dem BGH aber in Bezug auf die Menge des Stroms und der Gestaltung, also dem Verkauf an die Quartiersnutzer, Zweifel gekommen. Der EuGH bestätigte das, weil in dem vorgelegten Fall der anschlussbegehrende Investor „anstelle des bisherigen Verteilernetzes eine Energieanlage einrichtet und betreibt, um mit in einem Blockheizkraftwerk erzeugtem Strom mit einer jährlichen Menge an durchgeleiteter Energie von bis zu 1.000 MWh mehrere Wohnblöcke mit bis zu 200 Wohneinheiten zu versorgen, wobei die Kosten der Errichtung und des Betriebs der Energieanlage von den Letztverbrauchern getragen werden, die Mieter dieser Wohneinheiten sind, und dieses Unternehmen den erzeugten Strom an diese Verbraucher verkauft“.

Die Unterschiede seien laut Söchtig bei genauer Betrachtung mit den Vermietermodellen oder bei Wohnungseigentümergemeinschaften deutlich: „Der Vermieter baut kein Netz anstelle des öffentlichen Verteilernetzes auf. Die Leitungen werden beim Bau verlegt oder sind im Bestand seit Jahrzehnten vorhanden. Ohne diese ist die Bewohnbarkeit, nach hiesigen Verhältnissen jedenfalls, nicht gegeben. Der Vermieter könnte die Wohnungen gar nicht vermieten. Der öffentliche Netzbetreiber ist nicht für die innerhäusige Verkabelung zuständig und will es auch gar nicht. Er verlegt in der Regel nur im öffentlichen Bereich Netze und betreibt sie.“

Der Vermieter komme den heute üblichen Ansprüchen der Mieter nach, mit der Wohnung PV-Strom aus Anlagen auf dem Hausdach verbrauchen zu können. „Die Anlage ist quasi Teil der Mietwohnung, wie die Nutzung der Wärmeanlage, des Aufzugs und des Spielplatzes. Niemand hat bisher die als üblich zum Mietshaus gehörigen Leistungen als selbständige Leistungen des Vermieters deklariert. Wieso soll das jetzt hier der Fall sein“, fragt ODH-Geschäftsführer Brachvogel.

 

Weitergehende Ausführungen von HFK Rechtsanwälte:

Verbindet der Vermieter oder der ausgewählte Betreiber mehrere Anlagen von Häusern in unmittelbarer Nähe, um den PV-Strom möglichst umfassend ohne Nutzung des öffentlichen Netzes den Mietern zur Verfügung zu stellen, kommt er nur den weiteren Anforderungen des Gesetzgebers nach. Dadurch wird die Einspeisung in das oft überlastete Netz und der Bezug aus diesem überlasteten Netz vermieden. Größere Anlagen haben Steuerungsmöglichkeiten, auf die Netzbetreiber zugreifen und ihr Netz entlasten können. Dazu wurde gerade noch vor dem Ende der letzten Bundesregierung im Frühjahr 2025 eine Gesetzesänderung zur Vermeidung von Stromspitzen eingebracht.

Die Zusammenlegung erspart den Mietern hohe Stromkosten, wenigstens für den dort erzeugten oder zwischengespeicherten Teil. Auch das ist eine Forderung des Gesetzgebers. Würde das Hausnetz zum Verteilernetz, würden den Mietern bzw. Kunden von Mieterstrommodellen Netzentgelte und weitere Abgaben und Steuern verrechnet. Dies ist in jedem Fall zu vermeiden, um dezentralen Verbrauch aus dezentraler Erzeugung kommerziell sinnvoll zu erhalten.  Die Optimierung würde durch die Zwangseinspeisung in ein öffentliches Netz nicht mehr möglich sein.

Der BGH könnte evtl. in einem weiteren obiter dictum darauf hinweisen, dass der EuGH ausdrücklich die Bürgerenergiegenossenschaften erwähnt hat, für die Ausnahmen auch bzgl. der Einstufung von Netzen möglich seien. Sieht man die Mieter als Teil einer solchen Gemeinschaft an, die eben mit dem Mietvertrag einen Teil der PV-Anlagen mieten und mit den anderen Mietern und dem Vermieter zusammen betreiben, dann ist die Hausanlage kein Verteilernetz. Der BGH könnte empfehlen, die Mietverträge daraufhin anzupassen.

Sind die Vermieter kleinere Gesellschaften, ist eine solche Konstellation schon heute nach Meinung des ODH nach § 42b EnWG möglich. Hier ist aber der Appell an den Gesetzgeber im hier beschriebenen Sinne anzuschließen, dass der Begriff Gebäude und der Kreis der möglichen Gemeinschaftsmitglieder erweitert wird. Größere Vermieter und mögliche Dienstleister sollten zugelassen werden. Eine Weiterentwicklung des Gesetzes in diesem Sinne würde sich mit der noch zu beschließenden Gesetzeserweiterung um den § 42c EnWG zum Sharing, also der Nutzung des öffentlichen Verteilernetzes für den Austausch von erneuerbar erzeugtem Strom verbinden lassen.

Dies entspricht der Intention des EU-Gesetzgebers zur Erweiterung der Bürgerpartizipation, ohne die die Energietransformation nicht gelingen wird. Und das entspricht dem Urteil des EuGH, der in der Prüfung der zahlreichen Ausnahmen in der Richtlinie eventuell sogar Hinweise geben wollte,  dass für eine Neuregelung durchaus Möglichkeiten bestehen. Hier sei nur auf Art. 66 der Richtlinie hingewiesen, die Ausnahmen für kleinere Netze, über die im Jahr bis zu 3.000.000 MWh verteilt werden, zulässt. Die Erweiterung des Anwendungsbereichs dieser Regelung wäre der einfachste Weg, die – nicht nur deutsche – Entwicklung der dezentralen, bürgernahen Erzeugung von Strom und dessen Verbrauchs voranzubringen und nicht zu stoppen.

Außerdem sei abschließend die Rechtsprechung des BGH genannt, der in seinem Beschluss vom 18.10.2011 (EnVR 68/10) darauf hinweist, dass es Fälle gibt, in denen das Bedürfnis für eine energiewirtschaftsrechtliche Regulierung fehlt und die Vorschriften des allgemeinen Kartellrechts gelten. Dieser Rechtsprechung folgt sowohl die OLG-Rechtsprechung mit der Zulassung größerer Quartiere als auch der BGH in seinem Urteil vom 12.11.2019 (EnVR 66/18). Diese Rechtsprechung sichert innovative Entwicklungen von Bürgern und Unternehmen. In der vorgenannten Rechtsprechung aus 2011 weist der BGH auch auf den Umstand hin, dass bestimmte Größenordnungen von Abnehmern eine Rolle spielen können. Beispielhaft nennt er den 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009, nach der kleine Campingplätze von der Anwendung der Richtlinie ausgeschlossen sind. Kleinere Betreiber sind also schon keine Netzbetreiber.

 

 

Weitere Informationen:

Marie Lortz

Projektmanagerin Kommunikation & Events

marie.lortz@opendistricthub.de

www.opendistricthub.de